Donnerstag, Mai 19

Kommentar: Lars von Trier und der Eklat von Cannes


Wie heute bekannt geworden ist, wird Lars von Trier aufgrund seiner gestrigen Äußerungen bis auf weiteres vom Cannes Filmfestival ausgeschlossen. Auf der Pressekonferenz zu „Melancholia“, seinem neuesten Film, der im Wettbewerb um die ‚goldene Palme‘ gezeigt wurde, ließ sich von Trier zu Äußerungen über Hitler hinreißen, die international von verschiedenen Seiten zu vehementem Protest geführt haben. Die Einstellung, die die Leitung des Festivals mit diesem werbeträchtigen „Eklat“ allerdings beweist, wiegt dabei schwerer als von Triers verbaler Fehltritt. Ein Kommentar.


Eine der ersten, wenn nicht die erste Lektionen im Umgang mit der Journaille sollte wohl folgende sein: Die Nazis sind tabu. Egal, wie bohrend die Fragen der Journalisten und Interviewpartner auch sind, Fragen zu diesem, dem vielleicht kontroversesten aller Themen, sind unbedingt zu vermeiden. Egal, wie die Antwort auch ausfällt, sie wird Aufsehen erregen, überhöht werden und aus jeder erdenklichen Richtung auf Kritik stoßen. In Verbindung mit einem seltsamen Humor oder einem Hang zur gut verhüllten Satire sind Aussagen über die Nazis ein hochexplosives Gemisch, das bei der kleinsten Berührung medial in die Luft geht.


Ein Profi wie Lars von Trier, der nicht nur mit seinen Filmen sondern auch mit seinen kontroversen Statements immer wieder auf Ablehnung stößt, sollte das eigentlich wissen. Dass er sich dennoch auf dieses dünne Eis begeben hat ist einfältig: Von der ‚Vorstellung des einsamen Hitlers im Bunker‘ spricht er, und übt ‚Kritik an Israel‘. Das ist plump, unreflektiert, hat nichts mit dem Film zu tun und auf einer Pressekonferenz überhaupt nichts zu suchen. Sollte man ihn dafür aber international diffamieren, den Film praktisch unantastbar machen und den Regisseur bis auf weiteres von dem Wettbewerb ausschließen?


Das diese Entscheidung aus einem Abwehrimpuls heraus getroffen wurde ist nur allzu offensichtlich. Anstatt zwischen Aussagen, ihrer Schwere und ihrer Intention zu differenzieren, einen kühlen Kopf zu bewahren und die ganze Sache vielleicht mit etwas Abstand neu zu betrachten, hat die Leitung des Festivals mit der größtmöglichen Härte reagiert und das Thema damit weiter tabuisiert. Anstatt zu einer Auseinandersetzung aufzurufen und Herrn von Trier zu einer weitergehenden Stellungnahme aufzufordern, mit der er sich vielleicht hätte erklären können, sogar hätte müssen!, wird er ohne Umwege – aber werbewirksam – rausgeschmissen.


Ganz abgesehen davon, dass das mediale Interesse an von Trier, dem Festival sowie dem Film wohl kaum größer sein könnte als nach diesem Eklat, hat Cannes damit gezeigt, wie schwer es ist, über ein Thema zu reden, in dem es für die meisten Menschen keinen Diskussionsspielraum gibt. Dabei wäre es stattdessen nötig, von Triers Aussagen weder überzubewerten, noch sie zu bagatellisieren, sondern sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen. Gerade Künstler müssen in der Lage sein dürfen, Dichotomien aufzubrechen und sich zwischen ihnen zu positionieren, ohne im Anschluss auf nichts als unreflektierte Ablehnung zu stoßen. Mit ihrer Entscheidung hat die Leitung des Festivals gezeigt, dass in Cannes kein Platz für Diskussionen ist, und sich selbst damit ein Stück Integrität genommen.


So aber bleibt von der gestrigen Pressekonferenz nichts weiter als ein Aufreger, der bald vergessen sein wird, ein ungelöstes Problem und ein Film, der es schwer haben wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen