Sonntag, Mai 1

Filmkritik: Tape


„Tape“ fügt sich nahtlos an mein Special zum Thema ‚Kammerspiele‘ an, denn auch hier spielt sich die gesamte Handlung in Echtzeit mit nur wenigen Figuren in einem Hotelzimmer ab. Was ihn aber von vielen Filmen dieser Art unterscheidet, ist neben seiner psychologischen Tiefe vor allem die beeindruckende Leistung des kleinen aber feinen Darstellerensembles, das „Tape“ zu einem ganz großen Geheimtipp macht.


Vince (Ethan Hawke) und Jon (Robert Sean Leonard) treffen sich nach langer Zeit in einem Hotelzimmer wieder, um Jons Dokumentarfilm zu feiern, der am nächsten Tag auf einem Festival prämiert. Sie trinken, rauchen Gras und reden über alte Zeiten, aber bald schon wird klar, dass es einen ganz bestimmten Grund für ihr Treffen gibt, und dass sie einen Konflikt austragen, der fast so alt ist wie ihre Freundschaft selbst.


Richard Linklater zählt seit langem zu meinen meist geschätzten Regisseuren. Mit Klassikern wie „Dazed and Confused“ oder „Slacker“ hat er nicht nur die 90er entscheidend geprägt, sondern mit „Before Sunrise“ und „Before Sunset“ auch die beste Romanze der Filmgeschichte inszeniert. Mit „Tape“ adaptiert er erstmals ein Theaterstück für die Leinwand, und auch hier liefert er ganz großes Kino ab.


Ähnlich wie viele seiner Filme ist „Tape“ inszenatorisch auf ein Minimum reduziert. Die Leichen, die in der Vergangenheit der beiden Hauptfiguren begraben liegen, werden Stück für Stück zu Tage gebracht, und der limitierten Szenerie des Films steht eine psychologische Tiefe gegenüber, die von den Darstellern eindrucksvoll präsentiert wird. Hier sitzt jede Dialogzeile, keine Frage und keine Antwort ist ohne Hintergedanken und die Motivation der Figuren wird filigran herausgearbeitet, ohne dabei zu ermüden.


Allen voran Ethan Hawke spielt dabei den aggressiven, überdrehten Typen äußert nuanciert, ohne dabei eine gewisse Komik vermissen zu lassen. Auch wenn er zu Anfang wie ein wandelndes Klischee erscheint, macht er schon nach kurzer Zeit deutlich, dass keiner der beiden das Zimmer verlassen wird, wie er es betreten hat, und auch Robert Sean Leonard spielt den Gegenpol so überzeugend, dass man leidenschaftlich dabei zusieht, wie die beiden sich immer tiefer in ihren Lügen verfangen, bis am Ende niemand mehr so genau weiß, was hier eigentlich gespielt wird.


Die Verbindung aus vielschichtigen Charakteren und überzeugenden Darstellern macht „Tape“ zu einem Kleinod par excellence, über dass sich Bücher schreiben ließen wenn es nicht schon ein Theaterstück wäre, und dass Linklaters Status als großen Regisseur untermauert. Wer sich leichte Antworten auf komplexe zwischenmenschliche Fragen wünscht, wird hier nicht bedient – und das ist auch verdammt gut so.



Fazit: So müssen Filme sein.

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